Koloniale Spuren in Augsburg

Der Begriff des Postkolonialismus weist auf die Kontinuität kolonialer Verhältnisse hin, die trotz formal-historischer Beendigung direkter Kolonialherrschaft weiterhin wirksam sind. Diese Verhältnisse sind vielfältiger Art und betreffen globale polit-ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse ebenso wie koloniale Wissenssysteme, Subjektivität, Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Im Stadtbild entfalten solche Verhältnisse ihre Sichtbarkeit und Wirksamkeit. Koloniale, eurozentrische Erzählungen der zivilisatorischen Überlegenheit sind erinnerungspolitisch auch in steinerne und vergoldete Denkmäler im öffentlichen Raum gemeißelt worden – einige solcher Narrationen finden sich in der hier zusammengestellten kleinen Sammlung (post-)kolonialer Spuren in der Friedensstadt Augsburg. Diese basiert zu großen Teilen auf den engagierten Vorarbeiten lokaler aktivistischer Gruppen und Individuen und wächst im Austausch und kontinuierlichen Gespräch. Sie hat zum Anspruch, (post-)koloniale Spuren zu listen und vor dem Hintergrund post-/dekolonialer Theoriebildung zu problematisieren. Dabei ist es uns aus friedenswissenschaftlicher Sicht wichtig, nicht nur koloniale Spuren aufzudecken, um Bezüge zur Vergangenheit herstellen, sondern auch aufzuzeigen, wie diese Verhältnisse in der Gegenwart reproduziert, aber auch durchbrochen werden und welche Implikationen dies für uns als Stadtgesellschaft hat.


Welsertafel

Illustriert von Nontira Kigle

In der Fußgängerzone (Annastraße) hängt eine Tafel, die darauf hinweisen soll, dass Bartholomäus Welser, der “die ersten deutschen Kolonialunternehmungen nach Südamerika führte”, dort gelebt habe. Diese Tafel erscheint aus vielerlei hinsicht problematisch, da sie einerseits mit dem Begriff ‘Kolonialunternehmungen’ die wirtschaftliche Natur und Legitimation der Kolonisierung Venezuelas durch die Welser heraufbeschworen wird, ohne aber die zerstörerischen Auswirkungen dieser euphemisierend beschriebenen ‘Unternehmungen’ zu thematisieren. Bartholomeus de las Casas beschreibt die ‘deutschen’ Repräsentant*innen und ihr Wirken in Venezuela als besonders grausam und liefert in seinem “kurzgefassten Bericht von der Verwüstung der westindischen Inseln” beunruhigend anschauliche Beispiele für diese Beobachtung. Auch der Versklavungshandel, der im Vertrag mit Kaiser Karl V. festgeschrieben war und an dem die Welser sich ‘gewinnbringend’ beteiligten, bleibt in der Darstellung der Welsertafel ein verschwiegener Aspekt der ‘Kolonialunternehmungen’. Überdies wirkt die Darstellung der Welsertafel als besondere Errungenschaft (in) dem Augsburger Stadtbild und vernachlässigt die besondere ideologische Legitimation, die von diesem Narrativ für den deutschen Imperialismus und Kolonialisierung im 18. und 19. Jahrhundert ausgeht. Immer wieder wurde auf die ‘Kolonialunternehmungen’ der Welser Bezug genommen, um imperiale deutsche Kolonialbestrebungen zu rechtfertigen (Montenegro 2017).

Bemühungen zur Rekontextualisierung der Welsertafel hatte es bereits 1992 gegeben, als ein Zusammenschluss aus dem Verein Partnerschaft Dritte Welt/Werkstatt solidarische Welt, die Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. und eine indigene Basisinitiative aus Venezuela und anderen lokalen Gruppen sich darum bemühten, eine weitere Gedenktafel zum Andenken an die indigenen Opfer europäischer Eroberung am Welserhaus anzubringen. Nachdem angeblich festgestellt wurde, dass Bartholomäus dort nie gewohnt hatte, wurde beschlossen alle Gedenktafeln vom Haus zu entfernen (obwohl dies bis heute nie umgesetzt wurde). Zugleich deuten die Archive laut lokalen Wissenschaftler*innen deutlich darauf hin, dass er dort gehaust hatte. Wie soll es also weitergehen mit der Tafel?

Quellen:

  • Bartoloméus de Las Casas (1542): Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. Herausgegeben von Michael Sievernich, aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann. Insel Verlag 
  • Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. und Werkstatt solidarische Welt e.V. 1994: Augsburger Kolonialgeschichten
  • Montenegro, Giovanna. 2017: „The Welser Phantom“: Apparitions of the Welser Venezuela Colony in Nineteenth- and Twentieth-Century German Cultural Memory. In: Transit, Vol 11: 2, online unter: https://transit.berkeley.edu/2018/montenegro/#_ftnref5 [zugegriffen am 11.03.2022]

Zum Weiterlesen:


Fuggerei

illustriert von Nontira Kigle

Die Fuggerei ist in Augsburg ein Ort, der für das städtische Selbstverständnis von großer Bedeutung ist. Zum städtischen Narrativ zählt folgende Darstellung der Fuggerei: 

„Jakob Fugger stiftete 1521 die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. In ihren 140 Häusern leben 150 katholische Augsburger Bürger. Sie bezahlen für eine rund 60 Quadratmeter große Wohnung eine jährliche (Kalt-) Miete von 0,88 Euro. Dafür sprechen sie täglich drei Gebete für die Stifterfamilie“.

Regio Augsburg Tourismus

Allerdings zementieren die Narrationen über Entstehung und Bedeutung der Fuggerei ein glänzendes, euphemisierendes Bild der Fugger. Diese einseitige Darstellung wird im Blog „Fugger – die andere Seite“ ausführlich aus einem postkolonialen, kolonialismus- und kapitalismuskritischen Blickwinkel untersucht und kritisiert. So erscheinen die Motivationen für die Stiftung der Fuggerei nicht ausschließlich karitativer Art, denn das auch in den Mietverträgen festgeschriebene Erfordernis, regelmäßig für die Fugger zu beten, deutet auf ein tieferliegendes Bedürfnis Jakob Fuggers hin, das eigene Seelenheil zu sichern. Die Gewaltformen, die der Entstehung dieses Reichtums zugrunde liegen, werden nämlich verschwiegen, z.B. der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen, den Verwicklungen in den Versklavungshandel durch Kupfer und Kredite, sowie die Unterdrückung und Niederschlagung von Aufständen. Die Fugger schufen sich mit der Fuggerei also ein ‘auf Ewigkeit’ bestehendes Denkmal im Herzen der Stadt, das unsere Bild von ihnen bis heute positiv beeinflusst und die koloniale Unterseite des Fugger’schen Reichtums und ihrer Güte im Verborgenen lässt.

Die Fuggerschen Stiftungen holen aktuell, im Mai/Juni des Jahres 2022, die für 2021 angedachten Festlichkeiten anlässlich ihres 500-jähriges Jubiläums nach: Mitten auf dem Rathausplatz steht ein begehbarer, futuristisch anmutender ‘Fugger-Pavillon’ aus Holz und wirbt für Fuggereien der Zukunft, die beispielsweise in Litauen und Sierra Leone entstehen sollen.

Während seitens der Fuggerschen Stiftungen verherrlichende und selbstglorifizierende Narrationen ohne jegliche Anerkennung kritischer Perspektiven erneuert werden, trägt auch die Stadtregierung mit der Selbstbezeichnung als ‘Fuggerstadt’ zu diesem Narrativ bei – dabei stellt sich die Frage, wie diese Konvergenz vom Familiennarrativ der Fugger und Stadtnarrativ der Stadt Augsburg überhaupt zu Stande gekommen ist und ob sie angesichts der zahlreichen kritischen Gegenstimmen angemessen ist. Auch bei unserem Stadtgespräch zu postkolonialen Perspektiven auf die Friedensstadt am 18.05.2022 erhoben sich kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die das Fehlen kritischer Perspektiven in den Feierlichkeiten bemängelten. Bereits im Jahr 1985 berichtete der Spiegel über eine Studie, die mit bis dahin dominierenden Fugger-Mythen brach. In dieser Studie vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) heißt es,

“Die Fuggerei war, […] gedacht als Gegenoffensive und Ablenkungsmanöver wegen ihrer Monopolstellung auf dem Gebiet der Finanzierung von Kriegen und Bürgerkriegen, wegen der Ausbeutung Zehntausender, wegen des Elends, das die Fugger unter den Augsburger Webern angerichtet hatten”

DER SPIEGEL 34/1985

Augsburg Postkolonial kritisiert auf dieser Grundlage die Selbstdarstellung der Stadt Augsburgs als „Fuggerstadt“ im Allgemeinen und ermahnt mit Blick auf die aktuellen Feierlichkeiten das Fehlen einer kolonialkritischen, kapitalismuskritischen Auseinandersetzung. Auch Bernhard Schiller hat sich anlässlich dieser Feierlichkeiten auf Spurensuche begeben, und einen ausführlich recherchierten kritischen Kommentar in der Augsburger Zeitung (DAZ) veröffentlicht. Darin beschreibt er im Detail die Widersprüchlichkeit und ‘Hybris’ des Fuggernarrativs für das Selbstbild der Stadt und identifiziert die Fuggerei „als PR-Maßnahme, mit der Fugger auf die Vorwürfe des Verstoßes gegen das Zinsverbot und der Monopolbildung reagiert habe“. Laut Schiller handelt es sich bei der Fuggerei (aber auch anderen Fuggerlizensierten Angeboten, wie z.B. dem Fugger Express der Deutschen Bahn, der zwischen Augsburg, Ulm und München verkehrt) um eine gemeinsame Marketingstrategie, die auf ebendiesem Narrativ vom reichen Wohltäter beruht und so eine „Augsburger Dachmarke“ schaffen soll, die sich im übrigen auch gut in das Selbstbild als Friedensstadt einfügt.

Quellen:

Zum Weiterlesen:

  • Marion Magg-Schwarzbäcker und Ulrich König / DGB-Kreis Augsburg (1985): Spurensicherung. Beiträge zur fast vergessenen Geschichte Augsburgs. AV-Verlag, Augsburg.

Fugger und Welser Erlebnismuseum

Museen sind als Einrichtungen untrennbar mit der kolonialen Expansion verbunden, stellen aber auch Möglichkeiten dar, Erinnerungsorte zu schaffen, an denen Besucher*innen mit Geschichte(n) relational in Beziehung treten können. Problematisiert wird aus post-und dekolonialer Perspektive oftmals, dass Museen in Europa primär von weißen Kurator*innen gestaltet werden – so wird eine einseitige Narration reproduziert, in der imperiale und koloniale Vergangenheit glorifiziert und ‚die Anderen‘ als passive Opfer, Objekte oder gar als Feinde dargestellt werden. Andrea Meza Torres identifiziert diese einseitige Repräsentation von Geschichte als spezifisch weiße Erinnerung:

„[d]enn die Macht des Kolonialismus liegt in der Art und Weise, wie ‚Weißsein‘ unsichtbar gemacht wird, und dadurch scheint es, als ob das ‚Kollektivgedächtnis‘ sich aus dem Konsens und der Beteiligung der Gesellschaft heraus konstruiert. In Wahrheit wird es jedoch von einer homogenen Gruppe konstruiert, die sich als ‚weiß‘ identifiziert – aber eben ohne dies explizit deutlich zu machen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass mit diesem konstruierten ‚Kollektivgedächtnis‘ die gesamte Gesellschaft repräsentiert wird.“

(Andrea Meza Torres 2017, 142)

Das Fugger-und Welser Erlebnismuseum ist laut eigenen Angaben „ein Haus, das die Bedeutung der Augsburger Kaufmannsfamilien im frühen 16. Jahrhundert erlebbar macht“ und hat zum Ziel „die wirtschaftliche Rolle Augsburgs und seiner Kaufmannsfamilien an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit zu beleuchten„, um auf dieser Grundlage zum Nachdenken und verantwortungsbewusstem Handeln anzuregen. Es hat sich seit einigen Jahren – angeregt mitunter durch das unermüdliche Engagement lokaler Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen – auf einen kolonialismuskritischen Weg begeben, indem es beispielsweise Perspektiven aus dem außereuropäischen Raum einbindet. Die Felsmalereien von La Lindosa, sowie Podcastbeiträge von Menschen aus dem südamerikanischen Raum, erhalten inzwischen mehr Raum, sowohl in der Dauerausstellung, als auch auf der Online-Präsenz des Museums. Auch im Kellerbereich wurde die Dauerausstellung um eine wichtige Komponente des transatlantischen Versklavungshandels ersetzt. Das ist zunächst zu begrüßen, sollte laut einigen Aktivist*innen aber weiterhin kritisch begleitet werden. Denn es geht bei musealen Repräsentationen nicht nur um Teilhabe und Partizipation rassifizierter Personen, während Struktur und Bedeutung des Museums unverändert bestehen bleiben. Viel mehr sollte es laut Andrea Meza Torres darum gehen, grundlegende Dialoge und „Reflexion über die epistemischen Beiträge dieser ko-kuratierenden, nicht-europäischen Personen oder Migrant*innen“ (S.146) einzugehen. Solche Dialoge wagen es, auch über eurozentrische Epistemologien hinauszugehen und könnten selbst das Museum transformieren, sofern menschen es zulassen. Das Fugger- und Welser-Erlebnismuseum ist im Rahmen der kritischen Aufarbeitung intensiv an solchen Dialogen beteiligt, z.B. im Podcast Augsburger Weltfunk: Folgen des Kolonialismus der Werkstatt Solidarische Welt e.V., oder aber mit der geplanten Vernissage „4578“ der afro-amerikanischen Künstlerin Veronica Jackson. Wie aber kann ein intensiverer und wertschätzender Austausch mit venezolanischen Perspektiven gelingen, die unmittelbar von der Welserkolonie betroffen waren? Oder aber mit den Nachkommen der vom afrikanischen Kontinent entführten, versklavten und verschifften „4578“ Menschen? Wie sich also dieser intensive rassismus- und kolonialismuskritische Prozess des Museums auf die – aus post- und dekolonialer Sicht erhoffte – Transformation der Deutungshoheit und des musealen Raumes auswirkt, bleibt weiterhin zu beobachten und aktiv zu begleiten.

Quellen:

  • Meza Torres, Andrea (2017): „Dekolonisation des kollektiven Gedächtnisses in den Museen der Stadt“. In: Decolonize the City! herausgegeben vom Zwischenraum Kollektiv. Münster: Unrast Verlag.

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Stadtmarkt

Illustriert von Nontira Kigle

Der Stadtmarkt ist ein zentraler Ort des Handels mit Lebensmitteln, aber auch ein Ort des Zusammenkommens. Er steht in dieser Sammlung kolonialer Spuren exemplarisch für Kolonialwarenläden, Supermärkte und Discounter, die exotische Waren zu günstigen Preisen vertreiben. Markt und Konsum könnten in jeder deutschen Stadt auf einer kolonialen Spurenliste stehen, was aber die Wichtigkeit einer Vergegenwärtigung globalisierter Transaktionen in der Stadt Augsburg nicht schmälert. Im Gegenteil verdeutlicht die Größe der kolonialen Problematik, sowie damit einhergehende Ohnmachtsgefühle, die Notwendigkeit von bewussten, alltäglichen Handlungen, so zum Beispiel in Bezug auf unsere Konsumentscheidungen. 

In der Broschüre “Augsburger Kolonialgeschichten” der Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. und der Werkstatt solidarische Welt heißt es: “Die ‘Entdeckung’, Eroberung und Kolonisierung ferner Länder durch die Europäer hatte immer wieder ganz konkrete Auswirkungen auf die hiesigen Speisepläne” (S.4): mit der Eroberung tropischer Gebiete, dem transatlantischen Versklavungshandel im Konkreten, gelangen Obst und Gemüse wie Avocado, Ananas, Tomate, Kartoffel, Mais, aber auch Kaffee und Zucker, Baumwolle, Tabak und Rum (neben vielen anderen Produkten) an die lokale Bevölkerung in Augsburg. 

Über die vergangenen 500 Jahre erfolgte einer ‘Normalisierung’ der Verfügbarkeit solcher Produkte, sodass es heute immer schwerer wird, sich der Lieferketten bewusst zu werden, die vielfach von kolonialen und neokolonialen Verhältnissen durchzogen sind. Noch heute fungieren Länder des Globalen Südens in der globalisierten Ökonomie meist als Rohstofflieferanten und zur Bereitstellung billiger Arbeitskräfte, die in entsprechenden Produktionsstellen ohne Rechtsschutz ausgebeutet werden. Das betrifft Lebensmittel in besonderem Maße, aber auch andere Alltagsgüter, deren Herkunft nicht unmittelbar deutlich wird, wie Kleidung, Elektrogeräte, Spielzeug und ähnliches.

Quellen:

  • Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. und Werkstatt solidarische Welt e.V. 1994: Augsburger Kolonialgeschichten: Stadtmarkt

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Zoo Augsburg

illustriert von Nontira Kigle

Die Entstehungsbedingungen von Zoos in Deutschland sind eng mit kolonial-imperialen Begehrensstrukturen verbunden. Mit der Industrialisierung und einhergehender Urbanisierung knüpften die ersten Zoogründungen, z.B. 1844 in Berlin, an eine zunehmende Entfremdung innerhalb der städtischen Bevölkerung an und versprachen mit der Ausstellung ‘wilder’ Tiere (und Menschen) ‘authentische’ Erlebnisse, spektakuläre Abenteuer und Erholung vom Arbeitsalltag. Die entsprechenden Tiere wurden im Zuge kolonialer Eroberung als Kolonialwaren gehandelt – ein Geschäft, das z.B. Carl Hagenbeck, dem Namensgeber des Hamburger “Hagenbeck’s Tierpark”, zu großem Reichtum brachte. Aktivist*innen der Gruppe Decolonize Erfurt beschreiben “die Gefangenschaft der aus den Kolonialgebieten stammenden Tiere im Zoo” als Sinnbild “europäisch-weiße[r] Dominanz über den Rest der Welt” (Giesler/Winter/Kulenkamp 2019). In einem solchen Ethos kann auch die Entstehungsgeschichte des Augsburger Zoo’s eingeordnet werden, der 1937 gegründet wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg auch ‘exotische’ Tieren dauerhaft ausstellte. Vorher aber, in der Blütezeit des Kolonialimperialismus, hatte es auch in Augsburg sogenannte ’Völkerschauen’ gegeben, wo Menschen (analog zu ‘wilden Tieren’) aus kolonisierten Ländern oft in Wanderausstellungen zur Schau gestellt wurden. Bei den sogenannten Völkerschauen wurden Menschen aus kolonisierten Gesellschaften zur Schau gestellt, die als „anders“ und „exotisch“ präsentiert und inszeniert wurden. Entstehungsbedingungen und Konzeption solcher Schauen sind eng mit Kolonialismus und Imperialismus verbunden, denn in ihnen wird die Unterlegenheit sogenannter ‚Naturvölker‘ eine zentrale Projektionsfläche für die eigene Überlegenheit und Zivilisation.  

’’In der Völkerschau waren wir das, was sich die Menschen in Europa in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter ’Afrikanern’ vorstellten, ungebildete, mit Baströcken bekleidete, kulturlose Wilde.’’ (Theodor Wonja Michael)”

Decolonize Erfurt: Völkerschauen und Exotismus: die Kolonialität des Zooparks

Die rassifizierende, stereotype Darstellung von exotischen, ‘wilden’ Menschen, ermöglichte bei den (Augsburger) Zuschauer*innen die Herstellung eines entwickelten, zivilisierten Selbstbildes, das sich in Abgrenzung zum, und Distanzierung vom ‘Wilden’ konstituiert (Othering). Damit manifestierte sich in den Völkerschauen ganz konkret die imaginierte Legitimationsgrundlage, um koloniale Herrschaft zu rechtfertigen. 

In der historischen Forschung über Völkerschauen in Deutschland allgemein, in Augsburg im Konkreten, werden verschiedene Erklärungsmuster für die Entstehung und Beliebtheit von Völkerschauen angeführt. Während einige Forscher*innen in ihnen primär ein kommerzielles Unternehmen sahen, durch das besagte Fantasien und Vergnügung für die lokale Bevölkerung in den Mittelpunkt rückte, betonen andere, dass die darin präsentierten Inszenierungen „zu den Mechanismen der Vereinnahmung und Verharmlosung außereuropäischer Kulturen durch Europa [gehörte], ein Prozess, der parallel zur gewaltsamen Vereinnahmung durch die Kolonialmächte in Übersee stattfand“ (Dreesbach 2005, 324). Die dargestellte Unterlegenheit und Rückständigkeit der ausgestellten Völker diente sodann auch zur Legitimierung ihrer Kolonisation und Zivilisierung. Beide Erklärungsrichtungen schließen sich jedoch nicht aus – Kommerz und Konsum sind eng mit Kolonialismus verschränkt. 

Zu trauriger Bekanntheit gelangte der Augsburger Zoo für seine Aktionstage des “African Village” im Jahr 2005, für die er versprach, in einer ’’einmaligen afrikanische[n] Steppenlandschaft’’ nicht nur die Produkte und Dienstleistungen von ’’afrikanischen Silberschmieden’’ und „Zöpfchenflechtern“ anzubieten, sondern eine ’’Atmosphäre von Exotik’’. All diese im Werbetext auffindbaren Assoziationsräume wurden dafür kritisiert, in konzeptioneller wie praktischer Hinsicht direkt in der Tradition der Völkerschauen zu stehen und den kolonialen Blick weißer Gesellschaften auf ehemals kolonisierte Gesellschaften des so heterogenen und facettenreichen Kontinents Afrika zu reproduzieren. Dieser wird schließlich mit der Veranstaltungsbeschreibung als ‚African Village‘ homogenisiert und auf ein ‚Dorf‘ reduziert. Damit werden auch koloniale Stereotype reproduziert, betonten mitunter die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) und der Verein für Schwarze Frauen (ADEFRA e.V.) in ihren Protestschreiben und Protestaktionen. In ihrem offenen Brief heißt es:

„Die Reproduktion kolonialer Blick-Verhältnisse, in denen Schwarze Menschen als exotische Objekte, als Un- oder Untermenschen in trauter Einheit mit der Tierwelt in einer offenbar zeitlosen Dörflichkeit betrachtet werden können und den Mehrheitsdeutschen als Inspiration für künftige touristische Reiseziele dienen, ist wohl kaum als gleichberechtigte kulturelle Begegnung zu verstehen. Abgesehen davon, dass der afrikanische Kontinent nicht nur aus “Savanne” und “Dorf” besteht und sich nicht unter einem singulären Kulturbegriff (“African Village”) subsumieren lässt, spricht die gesamte Herangehensweise der VeranstalterInnen von einer erschreckend ungebrochenen Verdrängung historischer Kontinuität, mit der die Aneignung und Einverleibung vermeintlich exotischer Orte und Menschen immer wieder neu begründet werden kann“.

ISD 2005: Briefwechsel im Zusammenhang mit dem “African Village” im Augsburger Zoo 2005

Quellen:

Zum Weiterlesen:


Schaezlerpalais

lllustriert von Nontira Kigle

Das Schaezlerpalais ist ein eindrucksvolles Bürgerhaus in der Maximilianstraße, das vom Augsburger Bankier Benedikt Adam Liebert v. Liebenhofen im Jahr 1764 errichtet wurde. Seit 1945 wurde es bereits, laut Kunstsammlungen und Museen Augsburgs, ”museal genutzt, zunächst mit Sonderausstellungen belebt und ab 1951 mit Präsentationen der städtischen Sammlung bespielt”. Die Deutsche Barockgalerie befindet sich dort seit 1970, und stellt Gemälde des Barock und Rokoko (des 17. und 18. Jahrhunderts) aus. Aus postkolonialem Blickwinkel ist das Schaezlerpalais in vielerlei Hinsicht erwähnenswert, weil Kunstwerke aus dem Barock und Rokoko uns Einblicke in Weltbilder, Selbst- und Fremdbilder der Zeit verschaffen können. 

Einen solchen Einblick gewährt uns das Deckengemälde im sog. Rokoko-Festsaal, das von Freskenmaler Gregorio Guglielmi stammt und den Titel „Die weltumspannende Macht des Handels“ trägt. Es zeigt eine Allegorie des von Europa dominierten, und von dort auch imaginierten Welthandels.

Kritische Perspektiven sehen in dem Deckengemälde die Versinnbildlichung eines eurozentrischen Weltbildes, das den Reichtum Europas als endogene Errungenschaft darstellt und zugleich verschweigt, wie diese Reichtum auf der Ausbeutung, Versklavung und Unterwerfung des Restes der Welt beruht. Ein solches Weltbild beruht außerdem darauf, dass Europa sich selbst ins Zentrum der Welt rückt und als Maßstab für Entwicklung, Fortschritt, Moderne begreift. 

Eine anschauliche Beschreibung dieser Malerei liefert die Broschüre „Augsburger Kolonialgeschichten“ (1994): 

In der Mitte thront „Europa“ auf Wolken, umringt von Symbolen europäischer Macht und hiesiger Zivilisation. Für die Kunst stehen Palette, Buch und Violine, für die Architektur der Zirkel, für Recht und Staatsgewalt Gesetzestafeln und Faszienbündel. Die Kriegskunst repräsentieren Kanone, Rüstung, Trommeln und Fahnen. Eine Ruhmesgöttin posaunt den Ruhm in alle Welt hinaus. Rechts unter „Europa“ liegt Chronos, der Gott der Zeit, mit Früchten zu seinen Füßen. Der Handelsgott Merkur schüttet mit einem überquellenden Füllhorn den Reichtum aus, den der internationale Warenhandel Europa brachte. An den Rand gedrückt drei Erdteile und deren Schätze: „Afrika“ zeigt Elfenbein und einen Vogel Strauß. „Asien“ glänzt mit Perlen und Korallen. Für Amerika stehen eine „I*********“ (das Wort „Indianer“ ist eine Fremdbezeichnung mit starker Verallgemeinerung) sowie ein Goldgräber. Dort sieht man im Hintergrund ein Schiff, das Verkehrsmittel, mit dem die Schätze transportiert und Europa reich gemacht wurde. Der Kontinent Australien fehlt, weil er damals den Europäern noch unbekannt war.

Geschichtswerkstatt Augsburg e.V. und Werkstatt solidarische Welt e.V. (1994): Augsburger Kolonialgeschichten: Schaezlerpalais

Von seiner Aktualität hat das Deckenfresko bis heute kaum etwas eingebüßt, denn anhaltende neokoloniale Kontinuitäten zementieren die seit der kolonialen Expansion in das Weltwirtschaftssystem eingeschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse des Globalen Südens vom Globalen Norden.

Im Rahmen des Projektes ‚Das inklusive Wir in Augsburg‘ (DIWA) arbeiten die Kunstsammlungen aktuell an der Aufarbeitung kolonialer Verbindungen in ihren Ausstellungen. Mit der begleitenden App „Kunstsammlungen und Museen Aux“ lassen sich die Ausstellungen neu entdecken und mit verschiedenen Touren die Geschichten hinter den ausgestellten Objekten zu erfahren, wie zum Beispiel „Schwarze Menschen in der Kunst – der frühneuzeitliche Blick Europas auf die Welt“ oder „Missing Stories – über Augsburg, den deutschen Kolonialismus und Zwangsarbeit„. Mehr Informationen zur App finden sich hier: https://kunstsammlungen-museen.augsburg.de/app

Quellen:

Zum Weiterlesen:

  • Weber, Nicki (2022): Neokolonialismus genau betrachtet: Versuch einer umfassenden Begriffsbestimmung, in: W&F – Wissenschaft und Frieden 2022: 2, 28-31.
  • Pauls, Christina (2022):  Neokolonialer Frieden?! Die koloniale Unterseite modern-liberaler Friedensvorstellungen, in: W&F – Wissenschaft und Frieden 2022: 2, S. 42 – 45
  • Zöhrer, Michaela (2022): „Schablonen im Kopf. Koloniale Kontinuitäten im Wahrnehmen, Denken und Handeln“. in: W&F – Wissenschaft und Frieden 2022: 2

illustriert von Nontira Kigle

Hans-Jakob-Fugger Denkmal

Augsburg ist ‘Fuggerstadt’ – daran erinnert im Stadtbild so einiges, wie die überlebensgroße Bronzefigur von Hans Jakob Fugger am Fuggerplatz (der übrigens erst seit 2009 diesen Namen trägt). Dieser Urenkel Jakob Fugger ‘des Reichen’ geht als “Förderer der Künste und Wissenschaften” in die städtische Erinnerung ein, anhand eines Narrativs, das den persönlichen Bankrott Hans Jakob Fuggers als ‘Förderung der Künste und Wissenschaften’ ausgibt. Auf der Webpräsenz von Bayerisch Schwaben heißt es

“Wegen seiner Schulden trat der Fugger seine kostbare Sammlung antiker Handschriften und Bücher an den Herzog von Bayern ab. Diese Sammlung wurde ein Grundstock der Bayerischen Staatsbibliothek.”

https://www.bayerisch-schwaben.de/a-fuggerdenkmal

Dies ist ein problematisches Narrativ, das sich allerdings gut in die Konstruktion der Wohltätigkeit der reichen Handelsfamilie einreiht. Damit wird außerdem die positive Bedeutung seines Nachlasses für ganz Bayern hergestellt, da die Sammlung Hans Jakob Fuggers 1571 an Albrecht V. von Bayern verkauft wurde, der daraus die Münchener Hofbibliothek bildete, die wiederum später in die Bayerische Staatsbibliothek als Grundstock eingeht. Die Bayerische Staatsbibliothek ist heute zentrale Landes- und Archivbibliothek des Freistaates Bayern. Wo aber die Sammlungen antiker Handschriften und Bücher herkamen, mit wessen Reichtum sie erworben wurden, und auf Kosten wessen dieser Reichtum überhaupt angehäuft werden konnte, bleibt im Fuggerschen und städtischen Narrativ weitgehend unbeachtet.

Quellen:

Zum Weiterlesen: