Im Workshop “Warao: der Prozess der Kolonisierung” hat Alejandro Ceballos einen Raum geschaffen, in dem sich die Teilnehmenden über globale Zusammenhänge von Umwelt/Natur, Kapitalismus/Kolonialismus und die eigene Verstrickung austauschen konnten. Es ging vor allem um die zentralen Herausforderungen eurozentrischen Wissens, das immense Auswirkungen auf indigene Lebensweisen, Natur und Umwelt, aber auch auf uns und unsere Beziehungen nimmt.
Nach einem Input über die diversen Lebensweisen der Warao am Orinoco Flussdelta, sowie ihren Verlust durch koloniale, kapitalistische, extraktivistische und religiöse Unterwerfung, ging es um die herausfordernde Frage, ob und was diese veränderte Realität der Warao mit den Lebenswelten der Teilnehmenden zu tun habe.
Es folgte eine intensive Reflexion, die neben individuellen auch städtische und systemische Faktoren betrachtete. Referent Alejandro Ceballos führte sodann Konzepte von James Scott und Boaventura de Sousa Santos ein, um tiefergehende Reflexionen anzuregen. Auf dieser Basis beschäftigten sich die Teilnehmenden mit von letzterem Autor geprägten Konzepten der ‘Monokulturen’, die zusammen als Pfeiler des Eurozentrismus fungieren, konkret mit der
- Monokultur des Wissens
- Monokultur der zeitlichen Linearität
- Monokultur der Naturalisierung von Unterschieden
- Monokultur der dominanten Skala
- Monokultur des produktivistischen Imperativs
Dieses theoretisch-konzeptionelle Fundament bildete die Grundlage, auf derer sich die Teilnehmenden über potentielle emanzipatorische Praktiken austauschten und eine Vielzahl an Möglichkeiten identifizierten, die an diesen Pfeilern rütteln könnte, beispielsweise die aktive Zuwendung zu emotionalen und affektiven Wissensformen, sowie alternativen (indigenen) Wissenssystemen. Auch die Beziehung zur Zeitlichkeit spielte eine Rolle: einige betonten das Potential, das in einer Zuwendung zur (und Auseinandersetzung mit der) Vergangenheit liegt, andere sprachen von dem Auftrag des ‘Zuhörens’, das alternativen Wissensformen Raum geben soll, Ausdruck zu finden.
Allerdings steht im Raum, ob solche emanzipatorische Praxen ‘gewaltfrei’ seien bzw. in welcher Beziehung sie zu Gewalt stehen. Dabei ist es wichtig, zwischen verschiedenen Gewaltformen zu unterscheiden, die in der Friedens- und Konfliktforschung kursieren. Neben der direkten physischen Gewalt gibt es auch strukturelle Formen von Gewalt, sowie solche, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar mit direkter Gewalt in Verbindung gebracht werden, aber sie legitimieren, verschweigen, relativieren und so wiederum zu ihr beitragen. Diese Frage steht in direktem Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über das Augsburger Selbstverständnis als Friedensstadt. Während einige Teilnehmende die prinzipielle Ablehnung und Abwesenheit direkter Gewalt betonten, wurde aber auch thematisiert, wie epistemische und internalisierte Gewalt in solchen emanzipatorischen Praktiken mitschwingen.
Was hat das mit Postkolonialen Perspektiven auf die Friedensstadt Augsburg zu tun?
Das Workshopthema berührt die Friedensstadt Augsburg in vierlerlei Hinsicht. Aus unserer Sicht stehen im Falle der Stadtgeschichte primär die extraktivistischen, kolonial-kapitalistischen Begierden im Zentrum, die den Beginn der frühen Neuzeit markiert haben und zu solch verheerenden Verlusten indigener Lebens- und Wissensformen wie bei den Warao ihren Beitrag leisteten. Diese Geschichte ist jedoch auch Gegenwart einer naturalisierten ‚modernen‘ Logik, die in den letzten Jahrhunderten organisch gewachsen ist. Sie betrifft ein entfremdetes Verhältnis zur Natur, die als ‚Ressource‘ verdinglicht und ausgebeutet wird, sowie ein entsprechendes Verhältnis zur Vergangenheit, die bloß noch als Archiv zur Gestaltung der Gegenwart und Zukunft dient, anstatt eine lebendige Beziehung zu den Vorfahren zu beinhalten. Es scheint, dass die sog. ‚Handelsunternehmungen‘ von vor über 500 Jahren den Grundstein für eine anhaltende Haltung gelegt hat, die geographische und zeitliche Verflechtungen ignorieren möchte, um sich in Wohlstand und Zufriedenheit zu wähnen.
Zum Weiterlesen:
Claudia Brunner (2020): Epistemische Gewalt. Wissen und Herrschaft in der kolonialen Moderne. Transcript Verlag.
Boaventura de Sousa Santos (2018): Epistemologien des Südens. Gegen die Hegemonie des westlichen Denkens. Unrast Verlag.
Werkstatt Solidarische Welt mit Fugger-Welser-Erlebnismuseum (2021) „Folgen des Kolonialismus in Südamerika: Wie indigenes Wissen durch die europäisch geprägte Geschichtsschreibung verloren ging“