Rückschau: Augsburg diskutiert: Postkoloniale Perspektiven auf die Friedensstadt

Am Mittwochabend des 18. Mai 2022 fanden sich rund 90 Augsburger*innen im Augustanasaal des Annahofs zusammen, um „postkoloniale Perspektiven auf die Friedensstadt“ zu diskutieren. Ziel der Veranstaltung war es, im Format einer Fishbowl einen Gesprächsraum zu eröffnen, der die Stadtgesellschaft aktiv in die inhaltlichen Auseinandersetzungen einbindet. Nach den Eröffnungsreden von Martin Beck des evangelischen Forums Annahof sowie der Projektleitung Christina Pauls moderierte Projektmitarbeiter Nicki Weber auf der Basis eines Impulsreferats durch Bürgermeisterin Martina Wild einen Austausch zwischen ihr, dem Leiter des Teilprojektes “Migration im Museum” bei den Kunstsammlungen und Museen Augsburgs im DIWA Projekt Claas Henschel sowie OpenAfroAux-Aktivistin Isabella Helmi Hans.

Bürgermeisterin Wild referierte zunächst über die Bedeutung des historisch begründeten Labels ‘Friedensstadt’ für die Notwendigkeit von Respekt und gelebter Toleranz in Bezug auf die heutige Stadtgesellschaft. Im ‘kollektiven Gedächtnis’ Augsburgs gehe es auch darum, zu reflektieren, an was und wen erinnert wird, und warum. Wild stellte bestehende Initiativen der Stadt Augsburgs vor – neben der Kommission für Erinnerungskultur mit einem besonderen Fokus auf NS-Erinnerungskultur versuche das Projekt DIWA (Das inklusive Wir in Augsburg) postmigrantische und postkoloniale Blickwinkel stärker sicht- und hörbar zu machen. Eine besondere Einsicht aus dem Vortrag von Bürgermeisterin Wild war – aus Sicht der Redaktion – der Verweis auf den historischen Zusammenhang, den sie zwischen dem Fugger’schen Reichtum und der Confessio Augustana (die große Bekenntnisschrift der Protestanten, die bis heute theologische Grundlage von Lutheraner*innen ist) herstellte. Für Bürgermeisterin Wild sei es besonders für die Friedensstadt Augsburg essenziell, ihre eigene aktive und lebendige Stadtgesellschaft aushalten zu können, insbesondere hinsichtlich einer multiperspektivischen Geschichte Augsburgs.

Claas Henschel berichtete aus dem DIWA Projekt, wo er beispielsweise an einer App arbeite, die es ermöglichen soll, eurozentristische Perspektiven im Museum zu durchbrechen. Auch der Umgang mit der Welsertafel sei von großer Bedeutung und erfordere, dass nicht nur auf lokaler Ebene, sondern vor allem unter Einbeziehung indigener Perspektiven sowie Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen aus dem Globalen Süden, diese Tafel rekontextualisiert werden sollte. 

Für OpenAfroAux Aktivistin Isabella Helmi Hans steht jedoch fest, dass sich koloniale Haltungen nicht derart schnell transformieren lassen. Sie berichtet von der Erfahrung, dass städtische Institutionen die Perspektiven von Aktivist*innen oft nur halbherzig berücksichtigen und dass auch gut gemeinte Initiativen oft paternalistisch daherkommen. Außerdem gehe es darum, dass Institutionen und die entsprechenden Stellen lernen, zuzuhören, anstatt sich kontinuierlich vor postkolonialer Kritik zu verteidigen oder zu rechtfertigen. 

Postkoloniale Perspektiven haben in Augsburg damit zu tun, unter anderem die Mythen der großen Handelsfamilien der Fugger und Welser aufzubrechen und sowohl die Geschichte selbst als auch ihre Nachwirkungen in Form von bestehenden Machtstrukturen einer kritischen Prüfung (und Transformation) zu unterziehen. Dies beinhaltet eine kritische Prüfung des eigenen Selbstbildes als Friedensstadt, und einer aktiven Auseinandersetzung mit konkurrierenden Bildern über die Stadt und ihre Figuren, vor allem aus Perspektiven jener, die von kolonialer Gewalt betroffen sind.  

Auch die im Publikum anwesenden Augsburger*innen brachten ihre Perspektiven ein. So zeigten sich einige der Anwesenden entrüstet, dass der ‘Fugger-Pavillon’ im Rahmen der Feierlichkeiten zu 500 Jahren Fuggerei mitten auf dem Rathausplatz steht. Es wurde der Wunsch formuliert, ähnliche Diskussionsformate dort stattfinden zu lassen und auch dort Raum für – leider bisher abwesende – kritische Perspektiven zu schaffen. Auch haben sich einige dafür ausgesprochen, Rassismuskritik als bildungspolitisches Pflichtprogramm auf allen Ebenen in Ausbildungen zu inkludieren. Im Rahmen der Diskussion kamen zudem Fragen nach Schuld und Scham sowie der der Notwendigkeit für Wiedergutmachung und Reparation auf. Dabei wurde das Gespräch durch Perspektiven junger People of Color immens bereichert und konnte einen Raum gelebter Multiperspektivität schaffen. 

Auf Basis dieses offenen Gespräches mit verschiedenen Perspektiven drängt sich nun die Herausforderung auf, wie partizipative, inklusive Handlungsprozesse aussehen könnten, wenn es darum geht, über den Gesprächsraum hinaus einen anderen, reflektierten Umgang mit kolonialen Verhältnissen in der Stadt zu suchen.