Illustriert von Nontira Kigle
Die Fuggerei ist in Augsburg ein Ort, der für das städtische Selbstverständnis von großer Bedeutung ist. Zum städtischen Narrativ zählt folgende Darstellung der Fuggerei:
„Jakob Fugger stiftete 1521 die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. In ihren 140 Häusern leben 150 katholische Augsburger Bürger. Sie bezahlen für eine rund 60 Quadratmeter große Wohnung eine jährliche (Kalt-) Miete von 0,88 Euro. Dafür sprechen sie täglich drei Gebete für die Stifterfamilie“.
Regio Augsburg Tourismus
Allerdings zementieren die Narrationen über Entstehung und Bedeutung der Fuggerei ein glänzendes, euphemisierendes Bild der Fugger. Diese einseitige Darstellung wird im Blog „Fugger – die andere Seite“ ausführlich aus einem postkolonialen, kolonialismus- und kapitalismuskritischen Blickwinkel untersucht und kritisiert. So erscheinen die Motivationen für die Stiftung der Fuggerei nicht ausschließlich karitativer Art, denn das auch in den Mietverträgen festgeschriebene Erfordernis, regelmäßig für die Fugger zu beten, deutet auf ein tieferliegendes Bedürfnis Jakob Fuggers hin, das eigene Seelenheil zu sichern. Die Gewaltformen, die der Entstehung dieses Reichtums zugrunde liegen, werden nämlich verschwiegen, z.B. der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen, den Verwicklungen in den Versklavungshandel durch Kupfer und Kredite, sowie die Unterdrückung und Niederschlagung von Aufständen. Die Fugger schufen sich mit der Fuggerei also ein ‘auf Ewigkeit’ bestehendes Denkmal im Herzen der Stadt, das unsere Bild von ihnen bis heute positiv beeinflusst und die koloniale Unterseite des Fugger’schen Reichtums und ihrer Güte im Verborgenen lässt.
Die Fuggerschen Stiftungen holen aktuell, im Mai/Juni des Jahres 2022, die für 2021 angedachten Festlichkeiten anlässlich ihres 500-jähriges Jubiläums nach: Mitten auf dem Rathausplatz steht ein begehbarer, futuristisch anmutender ‘Fugger-Pavillon’ aus Holz und wirbt für Fuggereien der Zukunft, die beispielsweise in Litauen und Sierra Leone entstehen sollen.
Während seitens der Fuggerschen Stiftungen verherrlichende und selbstglorifizierende Narrationen ohne jegliche Anerkennung kritischer Perspektiven erneuert werden, trägt auch die Stadtregierung mit der Selbstbezeichnung als ‘Fuggerstadt’ zu diesem Narrativ bei – dabei stellt sich die Frage, wie diese Konvergenz vom Familiennarrativ der Fugger und Stadtnarrativ der Stadt Augsburg überhaupt zu Stande gekommen ist und ob sie angesichts der zahlreichen kritischen Gegenstimmen angemessen ist. Auch bei unserem Stadtgespräch zu postkolonialen Perspektiven auf die Friedensstadt am 18.05.2022 erhoben sich kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die das Fehlen kritischer Perspektiven in den Feierlichkeiten bemängelten. Bereits im Jahr 1985 berichtete der Spiegel über eine Studie, die mit bis dahin dominierenden Fugger-Mythen brach. In dieser Studie vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) heißt es,
“Die Fuggerei war, […] gedacht als Gegenoffensive und Ablenkungsmanöver wegen ihrer Monopolstellung auf dem Gebiet der Finanzierung von Kriegen und Bürgerkriegen, wegen der Ausbeutung Zehntausender, wegen des Elends, das die Fugger unter den Augsburger Webern angerichtet hatten”
DER SPIEGEL 34/1985
Augsburg Postkolonial kritisiert auf dieser Grundlage die Selbstdarstellung der Stadt Augsburgs als „Fuggerstadt“ im Allgemeinen und ermahnt mit Blick auf die aktuellen Feierlichkeiten das Fehlen einer kolonialkritischen, kapitalismuskritischen Auseinandersetzung. Auch Bernhard Schiller hat sich anlässlich dieser Feierlichkeiten auf Spurensuche begeben, und einen ausführlich recherchierten kritischen Kommentar in der Augsburger Zeitung (DAZ) veröffentlicht. Darin beschreibt er im Detail die Widersprüchlichkeit und ‘Hybris’ des Fuggernarrativs für das Selbstbild der Stadt und identifiziert die Fuggerei „als PR-Maßnahme, mit der Fugger auf die Vorwürfe des Verstoßes gegen das Zinsverbot und der Monopolbildung reagiert habe“. Laut Schiller handelt es sich bei der Fuggerei (aber auch anderen Fuggerlizensierten Angeboten, wie z.B. dem Fugger Express der Deutschen Bahn, der zwischen Augsburg, Ulm und München verkehrt) um eine gemeinsame Marketingstrategie, die auf ebendiesem Narrativ vom reichen Wohltäter beruht und so eine „Augsburger Dachmarke“ schaffen soll, die sich im übrigen auch gut in das Selbstbild als Friedensstadt einfügt.
Quellen:
- Fugger – die andere Seite. Eine postkoloniale Kritik
- Augsburg Postkolonial (2022): 500 Jahre Fuggerei – die Stadt Augsburg feiert und glorifiziert munter weiter.
- Bernhard Schiller (2022): Marketing mit Menschenfabrik – Kommentar zu den Fuggerei-Feierlichkeiten in der DAZ
- Spiegel 34/1985: Nit gar gutt. Ausgerechnet zur Augsburger 2000-Jahr-Feier macht eine neue historische Untersuchung das berühmte Geschlecht der Fugger madig.
Zum Weiterlesen:
- Marion Magg-Schwarzbäcker und Ulrich König / DGB-Kreis Augsburg (1985): Spurensicherung. Beiträge zur fast vergessenen Geschichte Augsburgs. AV-Verlag, Augsburg.